Wie Europa zum nachhaltigen Kontinent werden will

29.09.2022 Pensionskasse Weit.Blick Nachhaltigkeit

Europa soll als erster Kontinent bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Das wurde 2019 im Europäischen Green Deal festgeschrieben. Dafür sind enorme Investitionen in nachhaltige Projekte notwendig, die die öffentliche Hand allerdings alleine nicht finanzieren kann. Privates und institutionelles Kapital muss deshalb in Richtung Nachhaltigkeit bewegt werden. Mit der EU-Taxonomie und den dazugehörigen Transparenz- und Offenlegungsvorgaben hat die EU-Kommission Verordnungen vorgelegt, die nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten klassifizieren und abstecken.

Das Foto zeigt eine EU-Flagge, die hinter Bäumen hervorscheint

Der Name ist sperrig, der Inhalt hingegen für viele Expertinnen und Experten ein echter Gamechanger und eine neue Art, nachhaltige Wirtschaft zu denken: die „Europäische Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen“. Sie ist gemeinhin als EU-Taxonomie-Verordnung bekannt und gilt als Kernstück für eine Klima- und Energiewende im Rahmen des Europäischen Green Deal.

Definition nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten

Denn erstmals regelt eine Verordnung Kriterien zur Bestimmung, ob Wirtschaftstätigkeiten nachhaltig sind oder nicht. Die EU-Kommission hat damit einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der ESG-Aspekte (Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte) in den Fokus der Finanzwirtschaft und der Kapitalmärkte stellt und es ermöglicht, zu ermitteln, ob eine Investition nachhaltig ist.

Für das ehrgeizige Ziel eines klimaneutralen Europas muss nämlich massiv in neue, klimafreundliche Technologien investiert werden. Schätzungen der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2020 zufolge werden in den kommenden zehn Jahren zusätzliche Investitionen in der Höhe von rund 260 Milliarden Euro jährlich benötigt. Durch die Taxonomie soll es künftig privaten und institutionellen Anlegern vereinfacht werden, ihre Investitionen starker nachhaltig auszurichten und mehr Kapital in grüne Wirtschaftszweige zu lenken. „Die Differenzierung, dass wir uns nicht mehr die Frage stellen, ob ein Unternehmen nachhaltig ist oder nicht, sondern dass wir uns die Frage stellen, welche Wirtschaftsaktivitäten dazu beitragen, ein Nachhaltigkeitsziel zu erreichen, ist für mich revolutionär“, sagt Christian Klein, Professor für Sustainable Finance an der Universität Kassel, im VBVPodcast „VorDenken – nachhaltige Ansatze für morgen“ über die Taxonomie-Verordnung. Aber was regelt die Taxonomie genau, und welche Investitionen sind nun grün und welche nicht?

Taxonomie in zwei Etappen umzusetzen

grafisches Symbol mit zwei stilisierten Händen in Grüntönen, die sich zum Handschlag treffen. Die Hände sind von einem grünen Kreis umgeben, der in ein Blatt übergeht.

EU-Taxonomie
© iStock

Allen voran ist die Taxonomie ein EU-weit einheitliches Klassifizierungsinstrument, mit dem dargestellt wird, ob Projekte, Technologien und Unternehmensaktivitäten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten oder nicht. Sie definiert technische Bewertungskriterien für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten, derzeit vor allem in Bezug auf Klima- und Umweltschutzaspekte. Die Taxonomie-Verordnung ist nämlich in zwei Etappen umzusetzen: seit 2022 bezüglich der Umweltziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, ab Jänner 2023 dann auch in Hinblick auf die übrigen im Green Deal festgelegten Umweltziele nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. Künftig sind solche Ziele und Bewertungskriterien auch noch für den Bereich Soziales geplant. Darüber hinaus verpflichtet die Taxonomie-Verordnung Unternehmen zur Offenlegung der Taxonomie-Konformität ihrer Wirtschaftstätigkeiten. Diese müssen mit mindestens einem der sechs Umweltziele in Einklang sein, ohne dabei ein anderes Umweltziel wesentlich zu beeinträchtigen („do no significant harm“), wenn sie im Sinne der Taxonomie als nachhaltig klassifiziert werden sollen. Ebenso sind dafür Mindeststandards in sozialen Bereichen sowie bei Menschenrechten zu erfüllen.

„Betroffen“ sind davon alle EU-Mitgliedsstaaten, alle Finanzmarktteilnehmenden, die Finanzprodukte anbieten, und Unternehmen, die zur nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet sind. Die Taxonomie-Verordnung richtet sich aber auch an Unternehmen öffentlichen Interesses mit mehr als 500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und große Kapitalgesellschaften.

Die EU-Kommission hat allerdings bereits vorgeschlagen, die Berichtspflichten auszuweiten. Hinzu kommt außerdem, dass die bereits berichtspflichtigen Unternehmen die an sie gestellten Anforderungen oft auch an Zuliefernde weiterleiten. Denn um die eigene Taxonomie-Konformität beurteilen zu können, brauchen sie Daten von diesen. Dazu kommen die Berichtspflichten der Banken, die ihre Kennzahlen nur berechnen können, wenn sie wissen, ob ihre Kredite für Taxonomie-konforme Tätigkeiten genutzt werden. Die Taxonomie wird daher noch weitreichendere Folgen haben, weil auch kleine Unternehmen immer öfter Daten zur eigenen Nachhaltigkeit vorlegen werden müssen.

Die Offenlegungsverordnung

Die Offenlegungsverordnung (Disclosure-Verordnung) ist eine weitere Verordnung im Rahmen des European Green Deal. Sie regelt Offenlegungspflichten von Finanzdienstleistern hinsichtlich der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in ihren Strategien, Prozessen und Produkten.

 

Seit März 2021 ist sie in Kraft. Das bedeutet, dass zum Beispiel Fondsanbietende ihre Strategien in Bezug auf Nachhaltigkeitsrisiken offenlegen und bestimmte Transparenzpflichten erfüllen müssen.

 

Alle angebotenen Finanzprodukte müssen Nachhaltigkeitsinformationen darlegen und außerdem einer von drei Nachhaltigkeitskategorien zugeordnet werden – Artikel 6, Artikel 8 oder Artikel 9. Produkte, die nach Artikel 6 klassifiziert werden, gelten als traditionelle Finanzprodukte, die Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte nur in geringem Umfang oder gar nicht berücksichtigen.

 

Artikel-8-Produkte hingegen berücksichtigen ökologische und/ oder soziale Aspekte. Wenn diese mit nachhaltigen Eigenschaften beworben werden, müssen sie transparentdargestellt werden. Diese Produkte werden oft auch als hellgrün („light green“) bezeichnet. Dunkelgrüne („dark green“) Finanzprodukte sind gemäß Artikel 9 klassifiziert und müssen konkrete, nachweisbare Nachhaltigkeitsziele verfolgen. Lediglich die Einhaltung bestimmter Nachhaltigkeitskriterien reicht nicht mehr aus. Explizite Ziele können etwa die Reduktion von CO2-Emissionen oder die Verbesserung sozialer Standards sein. Durch die Verordnung soll es institutionellen wie privaten Anlegerinnen und Anlegern erleichtert werden, Finanzprodukte in den EU-Ländern in Bezug auf ihre Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt zu vergleichen. Außerdem soll dadurch Greenwashing verhindert werden.

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